Gedanken vom Ertrinken

Kennst du das extra Stück Butter in deinem Essen, das dir deine Oma irgendwo untergejubelt hat? Bei mir gab's das immer unter der Pasta. Typische Kriegsgeneration - die ewige Angst, dass irgendwann wieder alles weg sein kann. Und gleichzeitig: ja nichts verschwenden! Jedes noch so unscheinbare Restchen hat meine Oma irgendwie verwertet - oft hat sie es auch einfach selbst gegessen.
Die Zeiten heute sind andere. Wir sind umringt von Konsumgütern, die wir unbedingt brauchen. Die klassische Wegwerfgesellschaft, Geräte so konzipiert, dass sie mit Sicherheit nach einer gewissen Laufzeit kaputt gehen. Nichts mehr mit 30 Jahre Garantie auf den Staubsauger.
Und nicht nur materielle Güter. Auch die Selbstoptimierung nimmt krankhafte Züge an. Klassische Leitungsgesellschaft. Immer schneller, schöner, weiter, besser. Wir brauchen ganz viel Achtsamkeit, extrem viel Selbstliebe, so viel Yoga wie möglich, dann noch jeden Tag ein bisschen Meditation und parallel dazu unseren Job - unsere Familien und Freund:innen nicht zu vergessen. Wir leben in einem andauernden Anspruch an uns selbst. Wir fliegen beinahe durch unsere Tage, Augen auf, Handy an, fertig machen, ab in die Arbeit. Am Abend sind wir so erledigt oder überdreht, dass wir unbedingt noch irgendwas zu runterkommen brauchen. Am besten gleich noch eine Einheit Yoga (sicher besser als das Glas Rotwein oder andere Rauschmittel). Bis wir dann endlich wieder schlafen gehen und das Rad von vorne beginnt. Wohin soll uns diese Optimierung führen?
Während ich das so schreibe, merke ich, wie sehr das auch mein Leben beschreibt. Ich bezeichne es per se nicht als unangenehm. Nur ich frage mich, wo lebe ich es? Dauernd im Rausch der Selbstverbesserung - sei es im Job, sei es an meiner Persönlichkeit. Wenns irgendwo drückt, sitze ich schon wieder bei meiner Therapeutin, lade meinen Ballast ab und gehe mit einem Gefühl der Ruhe raus. Im Grunde gehe ich nicht - ich renne nämlich dann direkt zum nächsten Termin. Das nimmt mir gerade ein bisschen die Luft zum Atmen und ich merke, wie gerne ich das ändern möchte.
Das wird sich nicht von heute auf morgen ändern. Es wird wie alles ein Prozess sein.
Mir wurde das auch erst vor kurzem das erste Mal wirklich bewusst. Ich habe einen Post auf Instagram gepostet und da geht es darum "Was brauchst du gerade mehr in deinem Leben?". Als er online war, dachte ich mir: "WTF es geht immer nur um mehr mehr mehr!!!!" Warum brauch ich irgendwas mal nicht weniger? Auch mal weniger Achtsamkeit, weniger Antrieb, weniger Motivation und mehr von Sachen, die unsere Leistungsgesellschaft nicht hören will: MEHR faul sein, MEHR in den Tag hineinleben, MEHR nichts tun. Einfach mal gar nichts tun. Und das aushalten. Das ist total schwierig, auch für mich - eine gesunde 38 jährige Frau, die völlig im Leben steht. Wie fühlt sich dieses Nichts tun überhaupt an? Ich weiß es gar nicht mehr und deshalb vermisse ich es wohl auch nicht.
Immer auf den nächsten Urlaub zu warten, um mal wieder ein bisschen runter zu kommen und dann im besten Fall gleich krank zu werden. Dafür gibt es sogar einen Namen: die sogenannte "leisure sickness" (Freizeitkrankheit). Es geht gar nicht um die freie Zeit die dann da ist und dann wird der Mensch krank. Eher um die freie Zeit die schon davor zu wenig da war. Bei Stress wird die Immunabwehr gestärkt (zumindest eine Zeit lang) und das fehlt uns dann natürlich in ruhigen Zeiten. Es gibt viel dazu im Netz (google it).
Ich nehme es mir in meinen künftigen Alltag mit. Weniger zu tun, weniger zu wollen, weniger zu optimieren. Das bedeutet nicht, dass ich meine Yogaeinheiten zurückfahre oder meinen Job kündige. Es bedeutet zu lernen im Meer zu schwimmen ohne mich kaum über Wasser halten zu können.